Dr. Heiner Feldkamp, Landshut Wo kommt das Licht her? – Literarische Korrespondenzen Einführung zur Ausstellung von Wolfgang Zeilbeck Stadtgalerie im Stadtmuseum Deggendorf 10. März 2017
I.
„Mir geht es beim Schreiben letzthin um etwas Immaterielles, und ich meine, es sollte, zumindest auf dem Papier und mit dem Zaubermittel der Wörter, möglich sein, hinter Geld, Beton, Blut und Schweiß jenen anderen Bezirk spürbar zu machen, den man früher >das Metaphysische< genannt hat; wobei es mir so vorkommt, als sei das Metaphysische nichts anderes als das Bewusstsein des Todes. Doch es sollte sich Licht ausbreiten zwischen den Wörtern, damit die Welt heller wird, zumindest in den Büchern.“ In: Hermann Lenz: Leben und Schreiben. Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt/M. 1986, Seite 95.
II.
„Atmen / den frieden der fenster die / nachts nicht verschweigen müssen / ihr licht“ In: Reiner Kunze: Sensible Wege. Reinbek bei Hamburg, 1969, Seite 39.
III.
„Wir sind gar nicht gemeint. Gemeint ist, was an uns Licht gibt.“ In: Ilse Aichinger: Kleist, Moos, Fasane. Frankfurt/M., 1987, Seite 55.
IV.
„Mattina // M’illumino / d’immenso“ – „Morgen // Ich erleuchte mich / durch Unermeßliches“ In: Giuseppe Ungaretti: Gedichte. Italienisch und deutsch. Übertragung von Ingeborg Bachmann. Frankfurt/M. 1961, Seite 6f.
V.
Das Licht Es hat mich begleitet, beinahe jeden Tag. Es zeigte mir das Meer und die Tiere, den Schnee auf den Bergen und im Waldschatten den Farn. Ich habe mich für das Licht nicht bedankt. Es wies auf die Gegenstände und lehrte mich sprechen. Es lehrte mich lesen und schreiben nach der Natur. Ich habe mich für das Licht nicht bedankt. Einmal zog es sich zurück, und ich konnte im Spiegel meine Augen nicht finden. Aber dann kehrte es wieder, und ich habe mich flüsternd bedankt. In: Rainer Malkowski: Ein Tag für Impressionisten und andere Gedichte. Frankfurt/M., 1994, Seite 87.
Lieber Wolfgang,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
der von mir verehrte Schriftsteller Hermann Lenz hat über sein Schreiben einmal gesagt, was meines Erachtens ohne Abstriche auf die Kunst von Wolfgang Zeilbeck übertragen werden kann:
„Mir geht es beim Schreiben letzthin um etwas Immaterielles, und ich meine, es sollte, zumindest auf dem Papier und mit dem Zaubermittel der Wörter, möglich sein, hinter Geld, Beton, Blut und Schweiß jenen anderen Bezirk spürbar zu machen, den man früher >das Metaphysische< genannt hat; wobei es mir so vorkommt, als sei das Metaphysische nichts anderes als das Bewusstsein des Todes. Doch es sollte sich Licht ausbreiten zwischen den Wörtern, damit die Welt heller wird, zumindest in den Büchern.“
Immer wenn ich das Atelier von Wolfgang Zeilbeck betrete, möchte ich mich sachte bewegen, möchte leiser sprechen als sonst. Wolfgang Zeilbecks Atelier ist für mich ein Raum der Kontemplation.
Auch viele seiner Arbeiten, die hier ausgestellt sind – ob Papierarbeiten, Zeichnungen oder Installationen -, sind einladend, kontemplativ, ja geradezu meditativ.
Und das spricht mich persönlich besonders an: Dass sie sich nicht aufdrängen. Dass sie nicht grell sind und schrill.
Auch gefällt mir an Wolfgang Zeilbecks Arbeiten, dass sie genau gearbeitet sind, geradezu akribisch in Form- und Farbgebung.
Lässt man sich auf sie ein, spürt man die Zeit, die in ihnen steckt.
Als ich Wolfgang Zeilbeck einmal fragte, wie viel Zeit er denn allein in die Modelle seiner Papiergeflechte gesteckt habe, erhielt ich die frappierende Antwort: „Zeit spielt keine Rolle!“
Wenn ein Künstler das sagen kann, dann ist er ganz bei sich, dann ist er bei sich angekommen.
In den letzten Jahren habe ich wiederholt erlebt, wie die künstlerische Arbeit Wolfgang Zeilbeck selbst erfüllt, ja beglückt.
Er nennt seine Empfindung, wenn ihm eine Arbeit geglückt erscheint, „Gehobensein“.
Beim Betrachten seiner Arbeiten assoziiere ich den Begriff des „Aufgehobensein“.
Aufgehoben im dreifachen Sinn.
Ich erkenne darin, dass etwas, das dem Boden, der Erde verhaftet war, hochgehoben worden ist.
Ich spüre, wie Gegensätzliches sich aufhebt, wie Komplementäres sich ergänzt, wie etwas Drittes aufscheint.
Ich erahne, dass ein Kunstwerk etwas Kostbares ist, das etwas aufhebt, bewahrt für die Zukunft: einen Moment der Erkenntnis, der Empfindung,
der Erinnerung.
[Auf drei Arbeiten der Ausstellung möchte ich Sie hinsichtlich dieses Aspektes des Aufgehobensein besonders hinweisen:
Stadt der Erinnerung
Mein Auge
Meine Hand]
Dass Wolfgang Zeilbeck viel mit Papier arbeitet und experimentiert, gefällt mir als Liebhaber der Literatur besonders. Als Künstler hat er das Papier für sich entdeckt und gewinnt ihm immer neue Varianten und Substanzielles ab.
Wenn Wolfgang Zeilbeck mit Papierstreifen textile Strukturen schafft, dann webt er nicht nur, sondern schafft meines Erachtens Texte, die man, wenn man sich ihnen empathisch öffnet, auch lesen kann.
Eines der Gedichte Reiner Kunzes endet mit folgenden Versen: „Atmen / den frieden der fenster die / nachts nicht verschweigen müssen / ihr licht.“
Wolfgang Zeilbeck ist Jahrgang 1947, also ein Nachkriegskind. Ein Kind, das aufatmen konnte, das keine Ängste mehr haben musste vor Fliegeralarm, Kampfflugzeugen und Bomben. Ein Kind, das in der Nacht das Licht brennen lassen konnte, und das am Tag die Freiheit auf dem Land (bei den Großeltern) genießen konnte.
33 Jahre hat Wolfgang Zeilbeck als Kunstlehrer an bayerischen Gymnasien gearbeitet, 31 davon in Vilsbiburg, wo wir uns 1996 auch kennen gelernt haben. Den Pädagogen Zeilbeck möchte ich mit einem Zitat von Ilse Aichinger charakterisierten, das sich als Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1952 findet: „Wir sind gar nicht gemeint. Gemeint ist, was an uns Licht gibt.“
Zwei Projekte des Künstlers und Kunstlehrers Wolfgang Zeilbeck möchte ich im Kontext dieses Zitats kurz in Erinnerung rufen:
Mit seinem Leistungskurs Kunst hat er 2004 ein besonderes Projekt umgesetzt, dessen Broschüre ich mir aufgehoben habe: „Beuys in Vilsbiburg ODER Freundschaft mit Senioren.“ Ich zitiere aus der Broschüre (Seite 6): „Die Aussage von Joseph Beuys, dass kreatives Gestalten in der Gesellschaft Kunst ist, war uns Grundlage, konkret, in einer Gemeinschaft, nämlich der des öffentlichen Altenheims, tätig zu werden. Wir wollten Gegensätzliches zusammenfließen lassen. Grenzen verwischen zwischen Jung und Alt, Werden und Vergehen, Drinnen und Draußen, Schule und Umgebung, Kunst und Leben.“
Das andere Projekt hat Wolfgang Zeilbeck in der Palliativstation des Kreiskrankenhauses Landshut-Achdorf 2007 realisiert. Besucht man heute die Zimmer dieser Station, dann sieht man an der Decke zum Beispiel eine spiralförmige Platte hängen, hinter der – je nach Lichteinfall und -intensität – ein Farbenspiel zwischen Rot, Orange und Gelb zu beobachten ist.
So bringt Zeilbecks Kunst Licht und Farbe an Orte, die oft im Abseits bleiben und im Dunkeln.
Gern geht Wolfgang Zeilbeck auch auf Reisen. Er ist schon viel in der Welt herumgekommen. Immer wieder zieht es ihn aber ins nahe Italien. Sei es nach Venedig wegen der Biennale oder wegen des besonderen Lichtes dieser Lagunenstadt. Oder aber in sein Rustico hoch oben in Tremosine, 800 Meter über dem Gardasee. Hier oben sind auch einige der heute ausgestellten Werke entstanden.
„Mattina // M’illumino d’immenso“ lautet eines der berühmtesten Gedichte Ungarettis.
Ja, das Licht. Wo kommt das Licht her? Was für ein schöner Titel für diese Ausstellung hier in Deggendorf, zu der ich dir, Wolfgang, herzlich gratuliere.
Schließen möchte ich mit einem Gedicht von Rainer Malkowski:
Das Licht Es hat mich begleitet, beinahe jeden Tag. Es zeigte mir das Meer und die Tiere, den Schnee auf den Bergen und im Waldschatten den Farn. Ich habe mich für das Licht nicht bedankt. Es wies auf die Gegenstände und lehrte mich sprechen. Es lehrte mich lesen und schreiben nach der Natur. Ich habe mich für das Licht nicht bedankt. Einmal zog es sich zurück, und ich konnte im Spiegel meine Augen nicht finden. Aber dann kehrte es wieder, und ich habe mich flüsternd bedankt.
Danke fürs Zuhören, meine Damen und Herren, und einen schönen Abend.
flyer ausstellung deggendorf 2017